Montag, 14. Oktober 2013

Rituale cisterciense (1892): 4. Buch, 1. Kapitel: Wie die Brüder sich zur Zeit der Lesung verhalten sollen

1. Kapitel: Wie die Brüder sich zur Zeit der Lesung verhalten sollen


[1.] Zeit der Lesung wird bei uns jedweder Zeitraum genannt, in dem unsere Brüder sich nicht den kanonischen Horen, der Arbeit, der Mahlzeit oder dem regulären Schlaf widmen; allen voran aber im Winter nach dem Kapitel und der Mahlzeit; im Sommer nach den Laudes oder nach der Arbeit und der Mahlzeit; zu jeder Zeit aber nach dem ersten Zeichen einer Hore, und an den einzelnen Sonntagen und an Festen mit zwei Messen den ganzen Tag. Und dann können sie in die Kirche zum [stillen] Gebet gehen, oder in ihren Zellen sitzen, oder im Kreuzgang und im Kapitelsaal, wie es eben der Obere verfügen möchte [–] einzeln lesen sie in Kukullen in [ihren] jeweiligen Büchern und sie verhalten sich, wie es die Frömmigkeit gebietet; [sie können es tun] in ihren Nachtschuhen, wenn sie es wünschen.

2. Der Lesende bereite die Seele durch eine kurze Erhebung des Geistes zu Gott und durch eine reine Gesinnung des Herzens: Dadurch macht er sich bereit, die Gnade zu erlangen und das, was zu tun ist, zu erkennen und das Erkannte auszuführen zum Heil und zum Fortkommen der Seele. Und daher hüte er sich auch vor allem, dass er nicht durch die Neugier geführt oder durch Überdruss an die Lesung geht; noch schnell oder eilig, oder gar aufs Geratewohl lese: Vielmehr lese er das Buch, dass ihm aus der Bibliothek vom Oberen zugewiesen wurde, der Reihe nach, langsam, ernst, aufmerksam und ausdauernd, als würden ihm die Buchstaben vom Himmel geschickt; die Liebe werde ihm im aufmerksamen Lesen oft verdichtet, und er unterbreche die Lesung durch das Gebet, das ihn unaufhörlich mit reinerem Geist zum Verständnis der Lesung zurückführt.

3. „Dann, wie der Heilige sagt, wenn du mit Nutzen trinken willst, lies einfach, demütig und mit Treue, in demselben Geist, in dem die Schrift entstanden ist, fromme und einfache Bücher. Niemals nämlich wirst du den Sinn des Paulus oder Davids verstehen, bis du durch den Gebrauch der guten Intention in seine Lesung und durch den Eifer der unermüdlichen Betrachtung seinen Geist aufgenommen und dir die Zuneigung verinnerlicht hast.“

4. Wenn einer irgendwohin weggehen muss, [und] wenn er das Buch an seinem Platz im Kreuzgang zurücklassen möchte, gebe er dem neben ihm Sitzenden ein Zeichen, damit er darauf aufpasst. Doch niemand gebe durch die Kapuze ein Zeichen, noch rufe einer einen anderen von weitem, weder durch die Stimme noch durch ein Geräusch. Auch stören sie sich nicht gegenseitig, indem sie Fragen stellen. Doch wenn jemand von einem anderen das Buch, in dem er liest, für einen kurzen Zeitraum an sich nehmen möchte, so überlasse es der andere ihm in Frieden.

5. Die in den Antiphonarien, Hymnarien oder Gradualien den Gesang weiter erlernen oder ihre Lesungen vorbereiten, tun dies außerhalb der Kirche, und der Kantor oder ein dafür geeigneter und dazu bestimmter Bruder hört ihnen zu, damit er sie über die Grundlagen der Lesungen bei den Vigiien, bei Tisch und zur Kollatslesung, über die zu beachtenden und aufzugreifenden Akzente, über den Vortrag, über den sie nichts wissen, sehr kurz und mit den rechten Worten [silenter] und nur, wenn es nötig sein sollte, belehrt.